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Archiv der Stadt Linz

Bürgerkrieg, Aufruhr und Protest.

400 Jahre Widerstandskultur in Linz /// von Dr. Cornelia Daurer ///
Gibt es in Linz Traditionen des Widerstands und des Protests? Und wenn ja, wie sehen diese aus? Mit diesen Fragen wandten wir uns an Cornelia Daurer, Abteilungsleiterin für Stadtgeschichte
im Archiv der Stadt Linz. In einem Überblick zu den Aufständen in der Stadt seit der frühen Neuzeit bezeichnet sie einige Weg-marken der Widerstandsgeschichte von Linz. Es ist eine wechselhafte Geschichte von Aufständen, Verwüstungen, Gewalt, Überläufen, Erfolgen und Misserfolgen. Und natürlich: Ja, auch in Linz gibt es Widerstandstraditionen.

Gegenreformation und Bauernkriege
 
Unser Streifzug beginnt in der Zeit um 1600. Die erste Welle der Gegenreformation ebbte gerade ab, die zweite sollte bald beginnen. Nicht nur die konfessionelle Situation im Lande war im Schwanken, auch die wirtschaftliche und soziale Lage stand nicht zum Besten. Unruhen unter der ländlichen Bevölkerung prägten das ausgehende 16. Jahrhundert. In Linz, dem Zentrum der landesfürstlichen Macht, fanden die Prozesse und Hinrichtungen gegen die Rädelsführer der Bauernaufstände statt. 1626 stand Linz selbst mitten im Geschehen eines neuerlichen großen Bauernkrieges: Urfahr wurde besetzt, Linz wurde durch die Bauern unter dem Anführer Stefan Fadinger belagert. Fadinger wurde während der Belagerung verletzt und starb an dieser Wunde. Nach zwei Monaten zogen die Bauern unter hohen Verlusten schließlich ab, die Erhebung wurde in der Folge zerschlagen, die Unruhe blieb. Ein weiterer Aufruhr 1636 endete wieder mit Hinrichtungen auf dem Linzer Hauptplatz.
 
Das Revolutionsjahr 1848
 
Linz blieb von blutigen Ausschreitungen wie in Wien verschont. Von der neuen Freiheit wünschten sich die meisten die Aufhebung der Verzehrsteuer, die die Lebensmittel in der Stadt erheblich verteuerte. Und so waren es in erster Linie die Lebensmittelpreise, die in der Folgezeit immer wieder die Gemüter erregten. Auch in Linz wurde – wie anderswo – eine Nationalgarde gegründet. (Diese wurden im revolutionären Überschwang gegründet. Sie sollten die neu gewonnenen Freiheiten schützen, entwickelten sich jedoch zu einem Instrument der Reaktion. Ihre Bedeutung nahm rasch ab, bereits 1851 wurde sie offiziell aufgelöst, Anm. d. Red.) Die Nationalgarde sah sich selbst als Garant für Ruhe und Ordnung. Der erste größere Einsatz betraf einen Tumult, der wegen der Verzehrsteuer entstanden war. Doch anstatt die Menge aufzulösen, stellte sich der Anführer der Nationalgarde an deren Spitze und erreichte „freiwillige“ Brotspenden der Linzer Bäcker. Ein weiterer Aufruhr wegen erhöhter Brot- und Fleischpreise zeigte, dass die Nationalgarde in ihrem Inneren gespalten war: Anstatt die Unruhe zu beenden, fanden sich letztendlich auch einige Gardisten unter den DemonstrantInnen.
Aber auch die so genannten Katzenmusiken sorgten 1848 für einiges Aufsehen: Diese bestanden darin, nächtens vor den Wohnhäusern missliebiger Personen einen lautstarken Radau zu veranstalten. Eines der Opfer war der reaktionäre Stadtpfarrkooperator (ein katholischer Hilfsgeistlicher, Anm. d. Red.) Albert von Pflügl. Dabei fiel ein Blumentopf vom Kirchturm herunter. Die versammelte Menge konnte nur mit Mühe daran gehindert werden, den Turm zu stürmen.
 
Wahlrecht für alle!
 
Anlass zu Unmut in der Bevölkerung gab auch das restriktive Wahlrecht, welches in Folge der 1848er-Revolution eingeführt wurde: Es verteilte das Stimmgewicht je nach Steuerleistung und schloss weite Bevölkerungsschichten von den Wahlen aus. Mehrere Reformen erweiterten zwar den Kreis der Wahlberechtigten, dennoch war bis zum Ende der Monarchie kein allgemeines, gleiches Wahlrecht erreicht. 1905 erzwang eine Großdemonstration der Linzer ArbeiterInnenschaft die Zustimmung des Gemeinderats zur Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts auf Reichsratsebene.
 
Von Brotdemonstrationen, Plündereien und dem Standrecht
 
In Linz sorgte die unregelmäßige und unzureichende Lebensmittelversorgung während des Ersten Weltkriegs wiederholt für Unruhe. Schikanen der Behörden – wie das Schließen des städtischen Ausgabeschalters für Kartoffeln pünktlich zu Dienstschluss trotz einer seit Stunden in der Winterskälte wartenden Menschenschlange – heizten die Stimmung zusätzlich an. Getragen wurden die Proteste in erster Linie von den Frauen: Erste Demonstrationen gab es bereits im Oktober 1915 durch etwa tausend Frauen vor dem Rathaus und dem Landhaus. Eine ähnlich große Frauendemonstration gab es am 19. Juli 1917 im damals noch selbstständigen Urfahr. Bald ging es nicht mehr nur um die Verbesserung der Ernährungslage, sondern auch um das Erreichen eines Friedensschlusses und eine Demokratisierung der Verfassung: Im Jänner 1918 streikten die ArbeiterInnen von zahlreichen bedeutenden, aber auch kleineren Betrieben in Linz, Ebelsberg und Kleinmünchen. Im Juni 1918 kam es wegen der Kürzungen der Brotrationen zu weiteren Demonstrationen in Linz und Kleinmünchen.
Mit Kriegsende gab es in Linz Ausbrüche revolutionärer Gesinnung: Am 31. Oktober 1918 marschierten Arbeiter der Schiffswerft mit roten Fahnen und Hochrufen auf die russische Revolution durch die Stadt. Neben der vorherrschenden revolutionären Stimmung sorgten gravierende Engpässe in der Lebensmittelversorgung für Unruhe und Gewaltausbrüche. Bevorzugte Ziele von Plünderern waren Geschäfte sowie die Lebensmittellager in der Stadt.
Der Linzer Hauptbahnhof, auf dem nach Kriegsende täglich tausende Soldaten eintrafen bzw. durchfuhren, war ein Hauptort der Gewalttaten. Eine Demonstration im Februar 1919 weitete sich in Plünderungen und Verwüstungen von Geschäften aus. In der Folge wurde für einige Tage das Standrecht (Sondergerichtsbarkeit zur Beschleunigung von Strafverfahren in Ausnahmesituationen wie Kriegsfall, Anm. d. Red.) über Linz und Umgebung verhängt. 1920 musste das Standrecht erneut ausgerufen werden: Eine von den Kommunisten organisierte Demonstration endete mit einem Schusswechsel zwischen DemonstrantInnen und Exekutive auf dem Hauptplatz, der sieben Todesopfer zur Folge hatte.
 
Ein Ende mit Schrecken
 
Die ideologischen Konflikte zwischen den politischen Parteien, welche die Erste Republik von Anfang an prägten, verschärften sich laufend. Hinzu kam die Herausbildung paramilitärischer Wehrverbände auf allen Seiten, die zu einer Radikalisierung entscheidend beitrugen. Bereits 1927 stand Österreich am Rande eines Bürgerkriegs, als die Freisprüche im Schattendorf-Prozess zum Justizpalastbrand führten. (Im Jänner 1927 wurde in Schattendorf (Burgenland) ein Aufmarsch des unbewaffneten Republikanischen Schutzbunds durch die konservative „Frontkämpfervereinigung“ beschossen; zwei Menschen, darunter ein Kind, starben. Im Prozess im Juli wurden die Angeklagten jedoch wegen „Notwehr“ freigesprochen. Im Zuge des Protestes gegen dieses Urteil wurde der Justizpalast in Brand gesteckt. 89 DemonstantInnen und 5 Polizisten kamen bei dieser „Julirevolte“ ums Leben, Anm. d. Red.) Auch in Linz kam es zu Streiks und Protesten gegen das „Schandurteil“. Ab 1933 spitzte sich die Lage zu: Mit der Ausschaltung des Parlaments begann die stückchenweise Demontage der Demokratie durch Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Am 12. Februar 1934 explodierte in Linz der schwelende Konflikt. Der Aufstand des Republikanischen Schutzbundes unter Richard Bernaschek griff auf ganz Österreich über. Die Exekutive beendete mit Hilfe des Bundesheeres und der Heimwehr nach drei Tagen den Bürgerkrieg, welcher österreichweit hunderte Todesopfer gefordert hatte. Neun Männer, darunter mit Anton Bulgari ein Linzer, wurden standrechtlich hingerichtet. Nach den Februarkämpfen wurden die letzten Reste der Demokratie beseitigt.
Beim „Anschluss“ im März 1938 regte sich kein Widerstand. Sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden politische Gegner verhaftet, es begann die Unterdrückung und Verfolgung der den Nazis missliebigen Personenkreise: Juden, politische Gegner, Homosexuelle, „Asoziale“ und viele andere. Offener Widerstand war lebensgefährlich, und man musste immer mit DenunziantInnen rechnen. Linz war oberösterreichisches Zentrum des Widerstandes, aber dessen Wirkung blieb beschränkt. Die Befreiung vom NS-Regime erfolgte 1945 von außen, durch die alliierten Streitkräfte.
 
Protestkultur nach 1945
 
Die Verhandlungen zum Vierten Lohn-Preis-Abkommen, welches eine Verteuerung der Lebensmittel bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen zur Folge hatte, führten 1950 zu einer massiven Streikbewegung, die als „Oktoberstreik“ in die Geschichte der Zweiten Republik einging. Linz, genauer die Vöest, war der Ausgangspunkt der Protestbewegung, die zur Besetzung des Arbeiterkammergebäudes in Linz führte. Da der durch die KommunistInnen geführte Streik nicht vom ÖGB unterstützt wurde und es daher zu keinem Generalstreik kam, wurde er am 6. Oktober wieder abgebrochen. Im kollektiven Gedächtnis von Linz tief verankert ist auch die Demonstration Anfang 1986, mit der gegen die Zerschlagung der verstaatlichten Industrie protestiert wurde.
Viele weitere kleinere und größere Demonstrationen und auch Streiks ließen sich für die jüngere Vergangenheit nennen. Wir HistorikerInnen bemessen Protestbewegungen nicht allein nach ihren Erfolgen, sondern vielmehr nach dem, was sie uns über eine (historische) Gesellschaft sagen können: Sie alle zeugen jedenfalls von gelebter politischer Anteilnahme.
Dr. Cornelia Daurer ist Abteilungsleiterin für Stadtgeschichte im Archiv der Stadt Linz.

Zuletzt geändert am 04.03.13, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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