Oliver Jagosch Foto: Petra Moser
Foto: Petra Moser

„Z’wegn da Liebe war’s hoit“ – Meine gemeinsamen Radiojahre mit O

Eine kleine persönliche Rückschau auf 15 gemeinsame Jahre bei Radio FRO mit Oliver Jagosch (1978 - 2023)

Die Anfänge mit Notdurft 144

 

Ich habe O im Frühjahr 1999 bei Radio FRO kennengelernt, ich war damals 14 und dort seit einem halben Jahr ehrenamtlich aktiv. O war 20, interessierte sich fürs Radiomachen und hat sich für seine „Sendung mit dem O“ einen Wochenendtermin ausgesucht. Nachdem ich damals an Wochenenden für neue Radiomacher:innen die Studiotechnik machte („die Sendung fuhr“), – zur Anfangszeit war das noch üblich – haben wir uns schnell angefreundet und während des Festivals der Regionen 1999 in durchzechten Nächten beschlossen, gemeinsam eine Radiosendung zu machen. Titel: „After Eight – Darmausgang acht“, Kategorie im Sendevertrag: „Nonsense, Comedy“.

Den Titel haben wir kurze Zeit später aus Rücksichtnahme auf die Sendung „AfterAids“ der Aidshilfe OÖ geändert. Unser pubertäres Faible für Ordinäres aber haben wir geglaubt, uns unbedingt erhalten zu müssen – im neuen Sendungstitel „Notdurft 144“ zumindest etwas eleganter formuliert. Diese Kontinuität fand etwa auch ihren Niederschlag im Titel der regelmäßigen Restaurantkritiken namens „Präfäkaltest – kommt was Gutes rein, kommt was Gutes raus“ oder in unseren Pseudonymen Inkontinentius und Operator Hypospath.

Bald war uns eine zweiwöchentliche, einstündige Sendung nicht mehr genug und wir starteten mit dem monatlichen „Notdurft 144 Saturday Night Live Special“, das am Samstag um 22 Uhr begann und je nach Durchhaltevermögen bis 9 Uhr früh dauern konnte, wobei wir ab ca. 6 Uhr das Format auf eine Parodie von Mainstream-Morgensendungen umstellten. (In diesem Zusammenhang wurde auch einmal die nie realisierte Idee geboren, einen Weltrekordversuch mit der längsten Radiosendung zu starten)

Die Materialschlacht, die dieses Unterfangen erforderte, aktivierte uns zusätzlich. Wir hockten Tage und Nächte bei der Erfindung von Rubriken, beim Schreiben von Kurz- und Fortsetzungsgeschichten, beim Sammeln von found footage und bei der Produktion von Jingles und Soundelementen, um die 6 – 11 Stunden mit „Inhalt“ zu füllen. Durch den heißen Draht zur Musikredakteurin Petra hatten wir zudem Zugriff auf die sogenannte „Wegwerfkiste“, in der vor allem ganz mieses Kommerzzeugs und Schlager landeten und aus der wir uns freudig bedienten. Unsere Musikpolicy – abwechselnd je eine gute und eine schlechte Nummer – war ein weiteres Rezept unseres vermuteten Erfolgs.

Der Aufwand war beträchtlich, für ein absurdes, stellenweise sogar tatsächlich interessant-experimentelles, retrospektiv gesehen aber auf weite Strecken auch recht niveauloses, Programm. Wir hatten dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, einen unheimlichen Spaß dabei und sogar eine mini-“Fangemeinde”, die sich unsere Sendungen mitunter auf Kassette aufnahm. Manche von ihnen luden wir als unsere „Groupies“ ins Studio ein oder besuchten sie daheim und bekochten sie on air, was durchaus auf positive Resonanz stieß.

Auch online waren wir früh aktiv. Wir veröffentlichten unsere Inhalte neben der Sendung bereits 2000 auf unserer Website notdurft144.at, produzierten regelmäßig das, was man heute als Meme bezeichnet, und luden unsere Besucher:innen zur Interaktion ein, sich etwa an der „Unendlichen Geschichte“ zu beteiligen, eine absurde Online-Fortsetzungsgeschichte, zu der jede:r einen Beitrag leisten konnte. Das Ergebnis gibt es sogar noch.

 

Lieder, Auftritte, Videos

 

Parallel dazu schrieben und vertonten wir auf dilettantische Weise Songtexte, brachten sie auf Sendung und in einigen Fällen (in den damaligen „Szene-Places-to-be“ wie in der Stadtwerkstatt, im Frohsinn, Läufer, Alte Welt; einmal auch im Posthof) auch performativ auf die Bühne. Mit den Smash- und Trash-Hits wie „Gestern hob i mi griem“, „Wien is anders“, „Mir fehlt der Bart“, „Wir liebten uns am Waldesrand“ oder „Sandra Maischbergers Zehen“ versuchten wir uns für ein größeres, für solcherlei affines, Bühnenpublikum musikalisch fit zu machen.

Einer unserer gemeinsamen darstellerischen Höhepunkte war sicherlich die Trocken-Synchronschwimm-Kür, die wir zu einem klassischen Musikstück als Gäste der Late Night Show „Good Night Huber“ im Theater Phönix im Alubikini aufführten. Geprobt haben wir dafür nächtens und stundenlang im Radio FRO Büro auf der Rückseite des FRO Transparents, was ein ziemlicher Spaß war.

Daneben produzierten wir eine Reihe von Videos, wie den eher langweiligen Zweiminüter „16:17 – 16:19“, das actionreiche „Sackhüpfen – Eine Legende“ oder das durchaus künstlerische „Robben für Burkina Faso“, bei dem wir auf der alten Rolltreppe im Lentia 2000 mit dramatischer, klassischer Musik unterlegt der Kamera entgegenrobbten. Perücken und trashige Outfits gehörten jedenfalls immer dazu, schließlich musste auch hierzulande jemand das Hipstertum und andere kulturelle Phänomene vorwegnehmen.

Durch Os Wienaufenthalt bis ca. 2005/06 mussten wir den Modus unserer kontinuierlichen Zusammenarbeit umstellen. Wir produzierten remote, versuchten aber bei jeder Gelegenheit, unsere gemeinsamen Aktivitäten fortzusetzen. Leider blieben dennoch 3 Filme teil- bzw. unvollendet. Der Höhepunkt unseres bisherigen filmischen Schaffens sollte der cineastische Kurzfilm »Смертельный бетон« (Dt. „Tödlicher Beton“) darstellen, ein absurder Pseudo-Krimi in russischer Originalfassung mit englischen Untertiteln.

Ein von O selbst verfasstes Musikstück, das ihm besonders am Herzen lag, und für dessen anständige musikalische Produktion er selbst durch die Beiziehung eines richtigen Gitarristen sorgte, war „Wien is anders“. In dieser Abrechnung mit der Hauptstadt, die ihn ziemlich deprimiert zurückließ, realisierte er sicher sein damals persönlichstes Stück, sogar ein (mit bescheidenen Mitteln) solides Musikvideo haben wir produziert. Das kultige, abgesandelte Gürtel-Café Carina war dafür die maßgebliche Kulisse.

O brach seine Zelte in Wien schließlich ab und kehrte nach Linz zurück. Da wir uns durch unsere beruflichen Aktivitäten nicht mehr so viel Zeit füreinander nehmen konnten, stellten wir die Sendung zunächst ein. Dennoch arbeiteten wir immer wieder an einem neuen Format. 2007 war es soweit: „Urban & Van Hansen“ sollte die Show heißen, die diesmal inhaltlich wesentlich anspruchsvoller sein, aber ihren Nonsense-Charakter und ihren, wenngleich diesmal erwachseneren, Humor nicht verlieren sollte. Jingles, Soundelemente, kurze Episoden vorproduzierter Rubriken – alles war fertig produziert, aber leider kam es aus zeitlichen Gründen niemals zu einer Radiopremiere.

Aber auch abseits unserer gemeinsamen kreativen Tätigkeit hatte O viele weitere Interessen und Betätigungsfelder, auf denen er sich ausprobierte. Wir wurden älter, unsere persönlichen Prioritäten veränderten sich, aber wir suchten weiterhin den persönlichen (Radio)Kontakt dort, wo wir konnten, und moderierten weiterhin im Zweigespann mehrere Höhepunkte von Radio FRO.

 

Schriftsteller und Fotograf

 

Mit „Agraphie“ gab er Mitte der 2000er einen kleinen Lyrikband heraus, düster, aber sprachlich anspruchsvoll und sensibel. Später arbeitete er sogar an einem Roman.

Auch fotografisch war er aktiv, in der Kulturbar Konrad stellte er 2012 seine Fotos aus und in der Schublade hatte er seit über 10 Jahren einen Bildband mit dem Titel „Ein beschissenes Jahr“, der seinen täglichen Stuhlgang dokumentierte, den er aber leider nie veröffentlichte. (Nur wenige Jahre später war eine solche Aktion Teil eines renommierten Kunstfestivals)

 

Moderator, Redakteur, Sportjournalist, Politikkommentator, Reisejournalist

 

O blieb dem Radiomachen treu und prägte durch seine zahlreichen, teilweise legendären, Moderationen die Geschichte von Radio FRO bis 2013 entscheidend mit. Immer noch ist seine Stimme regelmäßig in mehreren Jingles, zB. in jenem des Infomagazins FROzine, on air zu hören.

Er war Zeuge und Schöpfer einer Reihe von Radiokuriositäten:

Einer der wahrscheinlich ungewöhnlichsten Livemomente auf Radio FRO und unvergesslichen gemeinsamen Erlebnisse ist eine Sendung aus 2001/02, die wir aus dem damaligen, öffentlich zugänglichen, Radiocafé „Buenos Aires“ (früher Läufer, heute KuKi Kiste) auf der Kunstuni hin zur Altstadt machten. Um 5 Uhr früh herum attackierten mich live auf Sendung mehrere Heimgänger. O half mir, die Leute abzuwehren, fuhr mit mir anschließend zur Polizei und ins AKH zum Nähen und brachte mich heim. Natürlich machten wir aus der Aufnahme des Tumults in der nächsten Ausgabe eine Story, die „Reality Show“ über das Attentat auf die Notdurft 144 Redaktion daraus. O hat mich übrigens nicht nur einmal vor tätlichen Übergriffen geschützt, auch dafür bin ich ihm heute noch dankbar.

Eine andere Episode ereignete sich 2001 im Rahmen einer Anti-AKW-Sitzblockade am Grenzübergang Wullowitz, von der er – als Demonstrant sitzend und eingehängt in weitere – live berichtete. Selbst als ihn zwei Polizisten wegtrugen, setzte er seine Moderation fort und kommentierte die Aktion in sarkastisch-reißerischem Ton weiter (in etwa: „Soeben werde ich von zwei Beamten unter Gewaltanwendung aus dem Griff der neben mir sitzenden Menschen gelöst. Und nun werde ich gegen meinen Willen vom Ort des Geschehens weggetragen, …“). Die verdutzten Gesichter der Beamten kann man sich vorstellen.

Oder als er als Teilnehmer eines Kunstprojekts im Zuge des Festivals der Regionen 2001 in Freistadt mehrere Nächte durchgehend in einem Bus das alte Testament verlas.

Mit einer Vielzahl von Livemoderationen und Reportagen hat er die Identität von Radio FRO maßgeblich mitgeprägt: etwa als Moderator mehrerer Radio FRO Feste, als Studiomoderator und Korrespondent bei zahlreichen Festivals der Regionen, bei Ars Electronica Festivals, bei Wahlberichterstattungen, in regelmäßigen redaktionellen Beiträgen und politischen Kommentaren im Infomagazin FROzine, oder schließlich als Reisereporter und -journalist. Letzteres nahm er zum Anlass, sich beim damals noch jungen Linzer Communityfernsehen Dorf TV auch erstmals in Videoformaten zu versuchen.

Mit relativ hoher Resonanz debutierte er 2011 erstmals als Reisejournalist in seiner Video-Blog-Reihe „Olli unterwegs…“, in der er hautnah von seinen Unternehmungen in Österreich oder Irland berichtete und seine gewachsene Rezipient:innenschaft regelmäßig mit authentischen Video-Reiseberichten auf seinen Social Media Kanälen versorgte. Seine Wanderung entlang des Donausteigs hat er auch per Blog dokumentiert: https://donausteig.wordpress.com

 

Pädagoge & Vermittler

 

Seine langjährige Medienerfahrung, und insbesondere seine schlummernde pädagogische Ader, hat O schließlich in seiner Funktion als Leiter des Ausbildungsbereichs bei Radio FRO von 2010 – 2013 voll entfaltet. Etwa als Mitautor einer Neuauflage des „Radio 1×1“, eine medienpädagogische Radio-Grundlagensammlung, die in den Community Radios im deutschsprachigen Raum nach wie vor weithin praktische Verwendung findet, als Leiter einer Lehrveranstaltung für Lehramt Mediengestaltung an der Linzer Kunstuni, als Vorstandsmitglied des österreichweiten Ausbildungsvereins COMMIT, als Methodenentwickler, Workshopleiter und Host, hinterließ er seine Spuren. Alleine im laufenden Betrieb schulte er sicher mehrere hundert Personen, darunter viele Jugendliche, ins Radiomachen ein. Viele Programmmachende lernten auch von seiner mitunter durchaus direkten, aber immer konstruktiven inhaltlichen oder formalen Kritik, die er meistens gut in einen Schmäh zu verpacken wusste.

 

O hat Radio mit Leidenschaft gemacht. “Z’wegn da Liebe war’s hoit” war einer seiner Sprüche, aber, so denke ich, auch sein insgeheimes Leitmotiv.

Der Tod von Oliver ist nicht nur ein großer persönlicher Verlust für alle, die ihn als Freund, Weggefährten oder Kollegen kannten, sondern hinterlässt bei Radio FRO nun endgültig ein unwiederbringliches, großes Loch an Kreativität, Vorbild, Talent, Wissen, Inspiration und Tatendrang. Oliver, du fehlst uns.

 

Ingo Leindecker

Zuletzt geändert am 05.09.23, 18:03 Uhr

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