Medien- und Pressefreiheit in Ungarn

In den letzten Monaten hat das ungarische Mediengesetz, das seit dem 1. Januar 2011 in Kraft ist, eine Welle der Empörung in Europa ausgelöst. Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz) zeigte sich unbeeindruckt von der internationalen Empörung und meinte, man denke nicht im Traum daran, das Gesetz zu ändern.

Das westliche Echo interessiere ihn nicht, er sei nicht geneigt, darauf mit zitternden Knien zu reagieren. Das Gesetz entspreche den europäischen Normen. Was das allerdings heißt, führte er nicht aus. Ob Orbán das Wesen des europäischen Gedankens versteht ist allerdings zu bezweifeln.

Da die Regierungskoalition von Viktor Orbán über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, verklangen auch die wenigen Gegenstimmen der sozialdemokratischen Opposition beinahe ungehört. Die Linksliberalen sind in der Tat seit  vielen Jahren verbittert darüber, mit welchem Rückenwind die EVP und die bürgerlichen Stiftungen in Ungarn dem Rechtsruck assistieren. Diese neue Norm istdas Ergebnis eines stetigen und andauernden  Rechtsrucks in Ungarn. Bereits kurz nach Regierungsantritt von Orbán im April 2010 wurden die ungarische Nachrichtenagentur Magyar TáviratiIroda (MTI) zusammen mit den drei öffentlich-rechtlichen Medien, dem ungarischen Radio, dem ungarischen Fernsehen unddem Duna Fernsehen (für die Auslandsmagyaren) zusammengelegt und in einer neuen Stiftung direkt dem Parlament unterstellt. Die Spitze der Stiftung wurde mit einem Fidesz-Mitglied besetzt.

Die offizielle Berichterstattung: „Vielseitig, zeitgemäß, faktisch,objektiv und ausgeglichen“

Die durch das neue Mediengesetz geschaffene Nationale Medien- und Nachrichtenbehörde (NMHH) legt nun auch die privaten Medien an die ‚Kette der Regierung’. Erste Präsidentin wurde Orbáns Parteifreundin Annamaria Szalai. Die Medienbe- hörde überwacht offiziell, dass die Berichterstattung „vielseitig, zeitgemäß, faktisch, objektiv und ausgeglichen“ sei. Doch das sind alles unbestimmte Rechtsbegriffe, die bereits im alten Mediengesetz schwer auszulegen waren. Unter der neuen Konstellation lädt die Formulierung zur willkürlichen Anwendung ein. Die Behörde soll ferner den Schutz von Personen, Nationen, Ethnien oder Minderheiten gewährleisten – doch ist auch diese Formulierung im Gesetz so weit gefasst, dass bereits ein regierungskritischer Bericht gegen diese Bestimmung verstoßen könnte. Besonders gefährlich dürfte im Mediengesetz folgender Paragraph einzustufen sein: „§ 17 (2) Der Medieninhalt darf nicht dazu geeignet sein, Personen, Nationen, Gemeinschaften, nationale,
ethnische, sprachliche und andere Minderheiten oder irgendeine Mehrheit sowie eine Kirche oder eine religiöse Gruppierung offen oder verdeckt zu beleidigen, auszugrenzen.“

Da infolge des äußerst virulenten Opfermythos in Ungarn auch die so genannte „Täter-Opfer-Umkehr“, oder wie sie in Ungarn genannt wird, der „umgekehrte Rassismus“ bereits mehrfach in den letzten Monaten zu entsprechenden Gerichtsurteilen führte, in denen bedrohte Roma wegen ihres „Magyarenhasses“ besonders hart bestraft wurden, kann anhand dieses Paragraphen davon ausgegangen werden, dass ein Medium, in dem beispielsweise die Gültigkeit der so genannten Heiligen Ungarischen Krone in der bald zu verabschiedenden Verfassung angezweifelt wird, eine seine Existenz gefährdende Geldstrafe zahlen muss.

Die Heilige Ungarische Krone ist seit vielen Jahren ein äußerst explosives Thema in Ungarn, das die Nation spaltet. Sie ist das Sinnbild der magyarischen Nation, der magyarischen Volksgemeinschaft und verkörpert eine völkische Lebensraumideologie. Der genannte Paragraph dürfte dieser Lebensraumideologie den legislativen Hintergrund liefern. Da man mit Strafmaßnahmen erst mit Ablauf der EU Ratspräsidentschaft, nämlich ab 1. Juli rechnen kann, werden möglicherweise die Auswirkungen dieses Paragraphen international weniger wahrnehmbar sein. Bereits in den ersten Wochen des Jahres hat sich die Befürchtung bestätigt, dass die neue Medienbehörde, deren Leitung von der Regierung ernannt wird, als verlängerter Arm der Regierung fungieren soll. Und damit auch nach einer etwaigen Abwahl so schnell nichts verändert werden kann, wurden die Präsidentin und die MitarbeiterInnen auf den wichtigsten Posten für neun Jahre ernannt.

Linksliberale Journalisten schüren Panik

Am einschneidensten ist, kritisieren MedienrechtlerInnen, dass mit dem neuen Mediengesetz nicht nur wie bisher die öffentlichrechtlichen Medien, sondern auch die private Presse vom Staat kontrolliert würden. Seitdem die Zensur des Realsozialismus abgeschafft worden war, ist die neue Behörde die erste, bei der wieder alles unter einer Kontrollinstanz gebündelt wird. KritikerInnen betonen, dass das offensichtliche Ziel des Gesetzes die Beschneidung der Pressefreiheit, die Machtsicherung der Behörde und die Verschleierung von Pflichten ist. Passend dazu ist die ungarische Nachrichtenagentur Magyar Távirati Iroda (MTI) zum zentralen Nachrichtenlieferanten ernannt worden. Ihre Leistungen sind unentgeltlich und werden staatlich subventioniert. Andere Nachrichtendienste werden damit benachteiligt. Unabhängige ausländische Medienbeobachter betonen, dass MTI die Nachrichten in Sinne der Regierung verfälsche, so würde beispielsweise die internationale Kritik am neuen Mediengesetz zu einem großen Teil verschwiegen. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage bestätigte, dass der Großteil der Bevölkerung von der
internationalen Kritik nichts mehr mitbekommen hat. Kommuniziert wird in den öffentlich-rechtlichen sowie in den regierungsnahen Medien, dass die Regierung im besten Einvernehmen mit der Kommission für die Pressefreiheit im Europarat korrespondiere und selbstverständlich alles dafür tue, die kleinen Differenzen so schnell wie möglich im Sinne der Kommission auszubügeln. Und im Übrigen sei es lediglich ein kleiner Teil der linksliberalen Journalisten, der die internationale Panik schüre.

Die Medienbehörde und die Regierung betonen immer wieder, dass das neue Mediengesetz deshalb wichtig sei, weil mit seiner Hilfe gegen rechtsradikale Internetportale wie beispielsweise kuruc.info vorgegangen werden könnte. Doch diese Seite liegt auf einem ausländischen Server und bleibt vom neuen Gesetz unberührt. Zudem ist anzunehmen, dass die Regierung von Viktor Orbán im Sinne des zitierten Interviews eher gegen kritische, linksliberale Medien vorgehen wird, als gegen rechtes Gedankengut.

/////////////////
Die Autorin Magdalena Marsovszky, gebürtige Ungarin, hat in Deutschland studiert und lebt zur Zeit als freie Kulturwissenschaftlerin und Publizistin in München und in Budapest. Dieser Artikel ist eine gekürzte Version. Den kompletten Artikel können Sie  unter www.fro.at/frozine nachlesen und darüber hinaus empfehlen wir FROzine Sendungen und Interviews zum Thema Pressefreiheit und Ungarn.

Zuletzt geändert am 02.08.12, 00:00 Uhr

Verfasst von Stefan Rois

zur Autorenseite

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden von der Redaktion moderiert. Es kann daher etwas dauern, bis dein Kommentar hier erscheint. Wir behalten uns vor, diskriminierende oder diffamierende Kommentare, sowie solche, die straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, zu entfernen.