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bühne04

Hut auf statt Hut ab


von Cornelia Metschitzer und Rudi Müllehner ///
Wenn wir (die Steuerzahlenden) uns schon ein neues großes Musiktheater für Spitzenleistungen leisten, dann stellt sich natürlich auch die Frage, was sich an der Basis so tut. Wie geht es den „Graswurzel-Bühnen“? Wie sieht die Freie Theaterarbeit in Linz aus?

Das ist eine ernste Satire über die freie Theaterszene, deren Teil wir sind. Die freie Theaterszene existiert, ja, aber sie ist zurzeit nicht besonders stark vertreten. Warum? Warum und von wem werden die Freien zurückgedrängt? Oder drängen sie sich nur nicht auf? Es ist nicht unsere Sache, unsere Künste marktschreierisch anzupreisen, Mega-Events zu veranstalten und Besucherrekorde aufzustellen. Die wirklich Freien, so vielfältig, inhomogen und individuell sie auch sein mögen, arbeiten außerhalb der Unterhaltungs- und Kulturindustrie sowie der Hoch- und Prestigekultur und deren Institutionen. Sie arbeiten ohne öffentlichen Auftrag und bekommen dafür auch wenig öffentliche Förderung und Anerkennung. Sie arbeiten eigeninitiativ und unabhängig, im öffentlichen Raum, an Schulen, in alternativen Veranstaltungsstätten. Platz findet sich aber auch zwischen den Stühlen der Kulturpolitik, oder im eigenen Wohnzimmer, wenn der einzig erschwingliche Proberaum der Stadt belegt ist. Zuhause proben wir dann professionell und konzentriert, konzeptionell und intuitiv, handwerklich und kreativ. Mit kargen materiellen Mitteln, dafür aber mit Fantasie und Leidenschaft. Wir arbeiten auch für uns selbst, um als Mensch weiterzukommen, und auch, um dieser Welt beizukommen. Wir verdichten innere und äußere Zustände und bauen Gegenwelten, Sehnsuchtsräume und Utopien.

Wir betreiben Glücksproduktion. Paraphysisch folgen wir unserer Vorstellungskraft und analysieren Geschichte und Gegenwart. Archäologisch graben und wühlen wir in der Gesellschaft, in den Quellen, in uns selbst. Wir blicken nicht auf die Seite, sondern in die Abgründe der menschlichen Seele. Emotionen werden erweckt, auch Unerwünschtes, Verdrängtes wird freigelegt. Wir üben Kritik an den herrschenden Machtverhältnissen und manchmal auch an der ungerechten Verteilung des Kulturbudgets und der kulturellen Infrastruktur. Kürzlich wurden wir deswegen von der Macht abgestraft wie ungezogene Schulkinder. Da verstanden wir die Welt nicht mehr, die wir uns sowieso nicht erklären können. Fieberhaft suchen wir nach vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten für die komplexen Phänomene unserer Zeit. Wir setzen uns auseinander und können auch produktive Auseinandersetzung beim Publikum in Gang setzen. Kurz gesagt: Die Freien nehmen ihre Arbeit und ihr Publikum ernst.

Ernst ist aber auch unsere Lage. Freie KünstlerInnen arbeiten meist ohne regelmäßiges Einkommen, dafür haben sie Freude an ihrer Arbeit, wenn man sie arbeiten lässt. Doch darf das überhaupt sein, dass einem seine Arbeit Freude macht? In die Arbeit geht man doch nur um Geld zu verdienen? „Die Balance von Arbeit und Freizeit muss erhalten bleiben“, sagten unlängst schon die Jungen in einer Umfrage und streben erst gar nicht nach Höherem. Die Freien arbeiten in ihrer Freizeit, denn sie arbeiten selbstständig, ohne Anstellung, oft ohne soziale Absicherung. Dem Gros der Bevölkerung sind wir suspekt, weil wir unser „Hobby“ als Beruf betreiben. Nur die Stars werden geliebt, vor allem solche, die auch im Fernsehen auftreten.

Schauplatzwechsel: Wir sind im Barock angekommen. Im Barock des 21. Jahrhunderts. Üppigkeit und Pomp beherrschen den großen Kunstbetrieb. Schließlich will man von der Provinz aus Musikgeschichte schreiben und auch was für die Schaulust tun. Also wird die neueste Technik angeworfen, um dem Publikum zu zeigen, was das neue Zeitalter alles kann. Eine gigantische Leistungsschau nimmt ihren Lauf. Im Minutentakt karrt die Drehbühne Heerscharen blutleerer Figuren heran, die sich mechanisch bewegen. Draußen fliegen sogar Menschen durch die Luft. Ein Ereignis der Superlative. Apropos Superlative. Monate zuvor schon wurden die Massen medial auf diesen Übertritt in eine andere Liga eingeschworen. Was heißt Liga, Sphäre, denn die göttliche Komödie ist spätestens bei der ersten Premiere im Theaterhimmel angekommen, wenn es nach den Sternen geht.

Okay, man kann die Freien und die Repräsentationskultur nicht vergleichen, zu unterschiedlich sind ihre Dimensionen und Interessen. Und muss man nicht alles zulassen können, wenn man tolerant sein will? Ja schon, aber es ist sehr schade, dass es auch in der Kunst nicht anders zugeht wie in den meisten Bereichen. Wer am lautesten schreit, der wird beachtet: Wer viel Geld hat, der kriegt viel dazu und je teurer, umso besser. Da zahlt man doch gerne. Und nachher war alles ganz wunderbar, sonst müsste man ja seinen Euros nachweinen. Die Illusionsmaschine läuft also wie geschmiert und wie die Drehbühne im Kreis.

Wir Freien aber machen uns keine Illusionen mehr. Illusionen gehören in die Werbung und nicht auf die Bühne. Unser größtes Gut ist, dass wir in keiner Maschinerie gefangen sind, sondern uns frei und unabhängig bewegen können. Wir sollten uns daher auch nicht so oft selbst zensieren, denn keiner kann uns in einer Demokratie den Kopf abschlagen.

Wir sagen aber auch nicht euphorisch „Hut ab!“. Wir sagen höchstens „Hut auf!“ für das Wechselgeld aus der Westentasche der Kulturpolitik. Aber wir Freien können auch mit wenig viel anfangen. Unter Wertschöpfung verstehen wir mehr als Profit und dafür hätten wir gerne auch mehr Wertschätzung. Nicht nur von der Politik, auch seitens der Bevölkerung. Alles wird gefördert, die Wirtschaft, die Industrie, die Forschung, die Volkskultur, die Kirchen usw. Warum nicht auch wir Freien? Klar, dass wir beim Hinterfragen des Status Quo auch der affirmativen Repräsentationskultur kritisch gegenüberstehen. Das ist unser gutes Recht. Aber den Ärger, den wir uns damit einfangen, sollten wir nicht fürchten, sondern produktiv umlenken. Niemand kann uns unsere Leidenschaft, unsere Ambition, unsere Freude verdrießen. Und zum Glück gibt es sie ja dann doch, diejenigen, die auch uns Freie durchaus zu schätzen wissen.

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Cornelia Metschitzer und Rudi Müllehner leiteten bisher 8 Jahre die freie Theatergruppe bühne04 und übernehmen im Juli das ehemalige Eisenhand als Tribüne Linz – Theater am Südbahnhofmarkt.

Zuletzt geändert am 29.05.13, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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