IMG_5153
Vor Ort

Wiederholung – VOR ORT 150 – Anna Mayrs Buch “Die Elenden”

Einblick über die Hartz IV-Situation in Deutschland

Faul. Ungebildet. Desinteressiert. Selber schuld. Als Kind von zwei Langzeitarbeitslosen weiß Anna Mayr, wie falsch solche Vorurteile sind – was sie nicht davor schützte, dass ein Leben auf Hartz IV ein Leben mit Geldsorgen ist und dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Früher schämte sie sich, dass ihre Eltern keine Jobs haben. Heute weiß sie, dass unsere Gesellschaft Menschen wie sie braucht: als drohendes Bild des Elends, damit alle anderen wissen, dass sie das Richtige tun, nämlich arbeiten. In ihrem kämpferischen, thesenstarken Buch zeigt Mayr, warum wir die Geschichte der Arbeit neu denken müssen: als Geschichte der Arbeitslosigkeit. Und wie eine Welt aussehen könnte, in der wir die Elenden nicht mehr brauchen, um unseren Leben Sinn zu geben.

 

Wir leben und arbeiten so, weil wir in einer Welt leben, die von den Kategorien Ware, Lohnarbeit und Wert beherrscht werden; wobei diese Konzepte nicht nur in unserer Wahrnehmung zu einer Art vermeintlich unverrückbarem Naturzustand geronnen sind, sondern auch materiell in einer historischen Herausbildung gesellschaftlicher Arbeitsteilung.

 

Wenn man diesen Zustand, der soziale Ungleichheit verantwortet, auflösen möchte, reicht es deshalb nicht, sich um Vorurteilsfreiheit zu bemühen. „Es wirkt schnell peinlich, links zu sein – manchmal habe ich das Gefühl, es ist kaum möglich, von einer gerechteren Welt zu sprechen, ohne sich selbst dafür ein bisschen zu verachten“, schreibt Mayr. Vielleicht ist es auch dieses Gefühl, das sie daran hindert, die Fragen etwas grundsätzlicher zu stellen. Aber auch das ist nachvollziehbar. In einer Zeit, in der es als mutig gilt, sozialdemokratische Forderungen zu stellen, gelten jene als komplett verrückt, die mehr als das fordern.

 

Christian Aichmayr hat ihr Buch gelesen und präsentiert in seinem Beitrag Auszüge aus diesem sowie auch eine Zusammenfassung aus diversen Rezensionen. Kurz streift er auch die Situation in Österreich, wo ständig von einer Höhe von 55 % der Nettoersatzrate (also des Letztbezuges im Arbeitsverhältnis) des Arbeitslosengeldes offiziell die Rede ist, dies aber schon auf Grund des vorgegebenen Berechnungsrahmens im Regelfall niemals erreicht werden kann. Denn dieser greift auf einen früheren Zeitraum zurück und niemals auf den letzten Bezug!

 

“Die Elenden – Warum unsere Gesellschaft Arbeitslose verachtet und sie dennoch braucht”, Hanser Berlin, Berlin 2020, ISBN 9783446268401, Gebunden, 208 Seiten, 20,60 EUR in Österreich

Zuletzt geändert am 23.08.23, 13:33 Uhr

Verfasst von Christian Aichmayr

Geboren 1958 in Schwanenstadt (Bezirk Vöcklabruck), Freie Tätigkeit bei den Freien Radios (Freies Radio Salzkammergut, Radio FRO) seit 2008 - inzwischen über 500 Sendungen gestaltet.
Lebt in der Gemeinde Rutzenham (der einwohnermäßig kleinsten Gemeinde OÖs) im Bezirk Vöcklabruck, dort Obmann der unabhängigen Bürgerliste Rutzenham, die seit 1985 im Gemeinderat vertreten ist, Obmann des Kulturausschusses und Gemeindevorstand.
War hauptberuflich im Sozialbereich tätig, davon 20 Jahre als Personalist.
Ausbildungen: u.a. Akademischer Supervisor und Coach, Lebens- und Sozialberater, Mediator, Kfm. Ausbildung etc.
Privates: Glücklich verheiratet mit Hannelore, Sohn Vincent.

zur Autorenseite
Gesendet am Do 24. Aug 2023 / 19 Uhr