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Nurdane Türkmen

Sehr geehrte Damen, Herren und Transgender,

von Tina Leisch //
Sex sells. Bier, Autos, geschmacksverderbende Printprodukte.
Eine nackerte oder halbnackerte Frau, die sich auf dem Plakat räkelt, verspricht den Männern: Ich puder‘ mit Dir, wenn Du diesen Käse kaufst. Den Frauen verspricht sie: Du wirst dadurch so sexy wie ich.

Sex zu verkaufen ist aber nur dann ein unbehelligtes Geschäft, wenn man betrügt und den KäuferInnen statt einem Rendezvous mit der Nackerten ein Weichspülmittel, einen Softdrink oder ein Haarshampoo andreht. Leute, die Sex anbieten und dann ehrlicherweise auch wirklich erotische Vergnügungen verkaufen, werden behördlich schikaniert, ihre Tätigkeit wird kriminalisiert. Sie werden diskriminiert, verjagt und elementarer Menschenrechte beraubt. In ihre Wohnungen darf die Polizei ohne richterlichen Befehl eindringen. Wenn eine von der Polizei als Prostituierte definierte Frau auf der Straße im Wiener Stuwerviertel mit einem Mann spricht, kostet das beide je 300 Euro Strafe. In Vorarlberg ist Prostitution nur in extra dafür konzessionierten Lokalen erlaubt, es gibt aber im ganzen Ländle keinen einzigen konzessionierten Betrieb.

Früher wurden diese staatlichen Verletzungen elementarer Menschenrechte mit dem Verweis auf Anstand und Moral begründet. Seit der Oberste Gerichtshof 2012 feststellte, dass die „Sittenwidrigkeit“ sexueller Dienstleitungen mit heutigen Moralvorstellungen nicht zu rechtfertigen sei, tendieren diejenigen, die sich gerne ins Sexualleben anderer Menschen reglementierend einmischen, dazu, ihre Rufe nach einem Prostitutionsverbot in feministische Argumente zu kleiden. Erotischer Service wird da als Versklavung, als Entwürdigung der Frauen interpretiert, das Bild von Sexarbeit über den Leisten einer generellen Sexualfeindlichkeit geschustert. Da sind alle Frauen arme Opfer, die das eigentlich nicht wollen, und alle Kunden brutale Machos, die sich mit Geld das Recht auf sexualisierte Gewalt erkaufen.

In der wirklichen Wirklichkeit sehen Begegnungen, die zu Bezahl-Sex führen, allermeist anders aus. Nämlich vor allem sehr vielfältig und verschieden. Das weite Feld der Sexarbeit ist selbstverständlich durchzogen von allen ungerechten Strukturen unserer Welt: Kapitalismus, Neokolonialismus, Patriarchat. Die von ihrem Zuhälter zur Prostitution gezwungene junge Frau aus dem ärmeren Teil der Welt ist ein grausliches Randphänomen der Branche, das aber gerne zum Inbegriff der Verhältnisse stilisiert wird. „Frauen, die diesen Job länger als ein Jahr machen, tun das, weil sie es gerne tun. Es ist eine Obsession. Es ist gut zu wissen, dass du jeden Tag Geld verdienen kannst. Und das Milieu der Sexindustrie ist aufregend.“ Sagt eine Sexarbeiterin.

Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht!“, meint die Escortlady Sandra. „Es könnte eine schöne Arbeit sein, aber es ist deshalb keine schöne Arbeit, weil man niemandem sagen kann, was man wirklich tut. Vor der Familie, vor den Freunden in meinem Heimatland, da muss ich immer lügen.“ sagt Lucy, die zwischen der Familie in Ungarn und dem Straßenstrich in Wien pendelt. „Ich bin eine Männerreparaturwerkstatt. Ich liebe Männer. Ihren Geruch, ihre Bedürftigkeit, wenn sie so hungrig nach Sex sind. Ihre Unfähigkeit, Schwäche zuzugeben macht sie krank und kaputt und dann kommen zu mir in die Reparatur. Es ist eine wunderbare Arbeit.“ sagt ihre Kollegin Valerie. Wie Sandra arbeitet auch Valerie mit Männern mit Handicap. „Alle Menschen haben sexuelle Bedürfnisse. Fast alle Menschen haben erotische Träume. Aber für Menschen im Rollstuhl ist es viel schwerer, die zu befriedigen. Einige meiner Kunden haben gar keine erotischen Körperkontakte außer mit mir.“

In der Steiermark gibt es seit 2009 eine Ausbildung zur Sexualbegleiterin. Die bisher 18 Absolventen und Absolventinnen haben gelernt, mit Bedürfnissen nach Berührungen, Nähe, Lust und Intimität respektvoll und achtsam umzugehen. Ihre KundInnen sind vor allem Menschen mit Behinderungen, aber auch alte Leute, Männer mit Erektionsproblemen oder Frauen nach sexuellen Gewalterfahrungen buchen die geschulten SexualbegleiterInnen, die allerdings keine Schleimhautkontakte, also kein Küssen, keinen Oral- oder Analsex und keinen Geschlechtsverkehr anbieten und somit nicht unter das Prostitutionsgesetz fallen. „Diese Trennung ist absurd, aber wegen der Gesetze notwendig.“ sagt Elisabeth Löffler, Peer-Beraterin für behinderte Frauen. „Manche Frauen erzählen mir, dass sie Escortboys buchen, aber die hohen Kosten sind ein Problem. Aber sollen wir Zuschüsse von der Gemeinde fordern wie es in den Niederlanden möglich ist? Dann entscheidet ein Beamter wer das Recht auf wie viel Sex im Monat hat, das wäre ja absurd. Dass Menschen auch die Möglichkeit zu lustvollen Körperkontakten brauchen, sollte vielleicht einfach bei der Bemessung der Pflegegelder berücksichtigt werden.“

Die stark gewaltpräventive und traumabewältigende Wirkung der Sexualbegleitung könnte aber jedenfalls ein Ausgangspunkt sein, die Betrachtung sexueller Dienstleistungen überhaupt von der Abwertung und Verachtung zu befreien, mit der religiöse oder feministische AbolitionistInnen sie verdammen. „Es ist dringend nötig, SexarbeiterInnen mit jenen Rechten auszustatten, die nötig sind, diesen Beruf selbstbestimmt und sicher auszuüben.“ fordert Christine Nagl, die in Salzburg und Innsbruck SexarbeiterInnen berät. Der schöne Spruch der Beratungsstelle LEFÖ bringt es auf den Punkt: „SexarbeiterInnen haben Lust … auf ihre Rechte.“

Herzliche Grüße Ihre Frau Leisch

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Tina Leisch ist Film-, Text- und Theaterarbeiterin, sowie Mitorganisatorin der Kampagne „Lieber Rotlicht statt Blaulicht!“ im Wiener Stuwerviertel // www.stuwer.info

Zuletzt geändert am 21.10.13, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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