MEDIENMACHT VON UNTEN

DIE "GLOBALISIERUNGSKRITISCHE" BEWEGUNG UND IHRE MEDIEN.

Dass die "globalisierungskritische" Bewegung durchaus das Potential zum kollektiven Medienstar besitzt, war schon vor den Auseinandersetzungen um den G8-Gipfel in Genua klar gewesen. Weitgehend Skepsis herrschte jedoch - auch in den eigenen Reihen - bezüglich der Medienkompetenz der AktivistInnen. Vor allem angesichts der Konzentration der Medien auf die "Gewaltfrage", sahen sich die "GlobalisierungskritikerInnen" oftmals im Teufelskreis einer militärischen Logik verfangen: "Die internationale Protestbewegung steht vor einem Dilemma: Wenn sie friedlich demonstriert und diskutiert, wird sie von den Medien ignoriert. Wenn es indessen zu Straßenschlachten kommt, berichten zwar die Medien, aber 'das Volk' wird nicht aufgeklärt über das, worum es geht.

Die Gewaltdiskussion überlagert alles, sowohl bei Befürwortern wie bei Gegnern der Globalisierung" meinte etwa Maria Mies in ihrem Anfang 2001 erschienenen Buch "Globalisierung von unten". Ein Lamento, das unter anderen vom Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte ATTAC aufgenommen wurde. Die Medien würden immer nur über gewalttätige Ausschreitungen berichten, nicht aber über die sauber ausformulierten Anliegen von inhaltlich arbeitenden NGOs wie ATTAC, tönte es noch wenige Tage vor Genua aus der Ecke des seriös-professoralen Flügels der Bewegung. Nun ist es zwar ein Leichtes dieser Klage zu widersprechen, angesichts der Tatsache, dass sich die jeweiligen nationalen ATTAC-VertreterInnen mittlerweile definitiv zu den bevorzugten AnsprechpartnerInnen für die Medien in allen, die sogenannte Globalisierung betreffenden Streitfragen, vor allem aber jeweils angesichts bevorstehender Gipfelkonfrontationen gemausert haben. Sie verweist aber auch - jenseits diverser Revier- und Rangkämpfe - auf einen ernst zu nehmenden Punkt: Gibt es für die Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung eine adäquate Medienstrategie? Wie bringt man JournalistInnen bzw. die dahinterstehenden Medienkonzerne dazu, die Anliegen der Bewegung auf zu nehmen und deren Inhalte zu transportieren? Kann es überhaupt eine solche Strategie geben?

Selbst avancierte kollektive "Spindoktoren" wie die italienischen Tute Bianche, die britischen Reclaim-the-streets-AktivistInnen oder die nordamerikanischen "Culture Jammer" waren in den vergangenen Jahren nicht in der Lage ihre Repräsentation in den Mainstream-Medien zu kontrollieren oder zumindest auf Dauer nachhaltig zu beeinflussen. Geschweige denn, den erwünschten Infofluss sicher zu stellen. Wie aber dann "die Suche nach dem Konflikt, der Übereinstimmung hervorbringen kann" (Tute Bianche) medial begleiten und anfeuern. Wie gar so etwas wie Hegemonie auf dem öffentlichen Diskursfeld erringen? Das Jahr 2001 scheint diesbezüglich eine Trendwende zu markieren, die einem "Paradigmenwechsel" in der Informationspolitik der Bewegung folgt. Versuchten die diversen AktivistInnen bis dahin noch, die Medien durch das - mehr oder weniger von einer eigenen Website unterstützte - Design ihrer jeweiligen Praxis zu beeindrucken - die Pallette reichte natürlich von "die-netten-Globalisierungsgegner-von-nebenan" bis zu "uns-möchten-sie-lieber-nicht-begegnen-Streetfighter"; Inszenierungen, die angesichts der realen Kräfteverhältnisse so oder so nur im Bereich der Repräsentation verblieben - so verstärkte man nun merklich die Anstrengungen auf eigene Medien.

Als Rückgrat dieses "AOL-Time-Warner-Deals" von unten etablierte sich die alternative Internetplattform Indymedia.org. Zunächst auf Text orientiert, entwickelt Indymedia.org, wie auch die mittlerweile kaum noch zu übersehende Zahl regionaler und nationaler Entsprechungen zusehends ihre Multimedia-Kompetenzen, so dass bei diversen Großevents der Bewegung, wie etwa den Protesten gegen den Gipfel zur Amerikanischen-Freihandelszone in Quebec oder eben den G8-Gipfel in Genua, die Vernetzung von Freien Radios, FotografInnen, Videogruppen und TextproduzentInnen zunehmend in der Lage war Aufklärung über die tatsächlichen Vorgänge im und um das "Kampfgebiet" zu leisten. Natürlich machte die Fotos von der Erschießung Carlo Giulianis ein Reuters-Fotograf, Indymedia war allerdings jenes Medium, das dafür sorgte, dass die gesamte Foto-Serie zur Kenntnis genommen wurde, die erst beweiskräftig Auskunft gab über die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs und damit die offiziösen Vernebelungsversuche unterlief.

Ähnlich die Rolle Freien Radio-Verbundes und Indymedias bei der Dokumentation und der Aufklärung über die brutale Razzia gegen das Genueser Indymediazentrum und vor allem die gegenüberliegende Schule Diaz. Wer während der Protesttage von Genua auf italy.indymedia.org ging, sah sich in die Lage versetzt, die Vorgänge zu überblicken, diverse Reflektionen dazu zu verfolgen und auch selbst argumentativ oder - falls Vorort - informierend ein zu greifen.

Indymedia und der Verbund Freier Radios machten in Genua - neben dem Sommerloch zweifelsohne - den entscheidenden Unterschied zu Prag 2000. Damals im Herbst ging die tschechische Polizei ähnlich brutal gegen "GlobalisierungskritikerInnen" vor, kam es in den Gefängnissen zu Folterungen, die durchaus mit jenen in Genua zu vergleichen sind. Nur damals schwieg die Weltöffentlichkeit. Ein Schweigen, dem hunderte Betroffene ein Trauma verdanken. Es war damals offensichtlich noch nicht möglich, dem medialen Mainstream eine entsprechende eigene unabhängige Medienanstrengung entgegen zu stellen. Nach Genua wird wohl auch diesbezüglich nichts mehr sein wie zuvor.

Dass die entsprechende Lektion bereits ernstgenommen wird, belegt zum einen die Tatsache, dass die enthafteten VolxTheaterAktivistInnen von sich aus ein Interview für austria.indymedia organisierten, bevor man den Mainstream-Medien Rede und Antwort stand. Zum anderen belegt dies aber auch die Reaktion der Gegenseite: Schon anlässlich der Proteste in Quebec sah sich Indymedia Repressionen ausgesetzt. Der Sturm auf das Indymediazentrum in Genua aber, wie auch der Versuch der Riot-Polizisten während der Auseinandersetzungen in den Straßen der ligurischen Hafenstadt fast systematisch die Ausrüstung von VideofilmerInnen und teilweise auch FotografInnen zu zerstören, belegen auf drastische Weise den "Respekt", den die Exekutive und die Politik mittlerweile vor der konzentrierten "Medienmacht" der unabhängigen Plattformen entwickeln.

Günther Hopfgartner