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Barrierefreie Texte

von Manuela Mittermayer ///
Manuela Mittermayer beschäftigt sich seit langem theoretisch mit der Wirkung von Sprache und Informationen auf die Lebensrealität. In der Praxis geht es dabei oft um das Vermeiden von Barrieren. Das barrierefreie Gestalten von Texten ist für Manuela erst in den letzten Jahren zum Thema geworden. Wir haben die Linzerin gebeten, eine Übersicht zum Thema barrierefreie Texte zu geben.

Barrierefrei wird oft mit behindertengerecht gleichgesetzt.

Das bedeutet, Texte in verschiedenen Medien (von Print über Radio bis Internet) für Blinde, Sehbeeinträchtigte, Gehörlose, Menschen mit motorischen Einschränkungen usw. und für Menschen mit Lernschwierigkeiten anzubieten. Dieser Anspruch beinhaltet bereits viele Anforderungen, die zum Großteil mit technischem Know-How zu lösen sind. Er betrifft aber nur einen Teilaspekt.
Barrierefreiheit bedeutet, dass niemand durch Barrieren ausgeschlossen wird.

Also auch nicht Menschen mit geringen Sprachkenntnissen, mit einem niedrigeren Bildungsstand als im Text vorausgesetzt wird, mit sehr einfachen Computer-Kenntnissen oder einer älteren technischen Ausstattung, usw. Außerdem sollen Texte antidiskriminatorisch und gendergerecht formuliert sein.

Dass ein Text keinerlei sprachliche Diskriminierungen beinhalten darf, bezweifelt niemand. In Hinblick auf gendergerechte Schreibweise scheiden sich die Geister nach wie vor heftig. Nicht alle, die gerne das Binnen-I verwenden oder sich für die geschlechtsneutrale Schreibweise mit Schrägstrichen entscheiden, sind sich dessen bewusst, dass es für Menschen mit Lernschwierigkeiten tatsächlich eine Irritation zur gewohnten Sprache und somit eine Einschränkung bedeutet.

Auf der Suche nach klaren Regeln habe ich Gespräche mit sehr unterschiedlichen Menschen über ihre Bedürfnisse und Einschränkungen beim Lesen von Texten geführt. Dabei habe ich viele wertvolle Hinweise erhalten. Gleichzeitig ist mir klar geworden: Es ist nahezu unmöglich, einen Text barrierefrei für alle zu gestalten. Was für den einen gut ist, stellt für jemand anderen eine Barriere dar.

Ein anderer Weg ist es, herauszufinden, über welche Möglichkeiten die Menschen, die ich erreichen will, verfügen. Das ist nur möglich, wenn man diese Personen tatsächlich kennt. Um niemanden auszuschließen, neigen viele Kulturvereine dazu, ihre Zielgruppe mit „alle“ anzugeben. Es ist auch schwierig, eine Zeitung herauszugeben oder Radio zu machen, ohne die Hörerinnen und Hörer zu kennen.

Trotzdem gibt es Anhaltspunkte, wie man Barrieren möglichst vermeiden kann.

Nach einem international gültigen Kriterienkatalog für barrierefreie Informationen, dem Capito-Qualitätsstandard, sind das die drei Faktoren Benutzbarkeit, Zugänglichkeit und Verständlichkeit.
Kurz zusammengefasst: Es geht um die größtmögliche Form von Einfachheit (technisch und sprachlich) und um das Anbieten von Alternativen (z.B. Audiodateien, Übersetzungen) für diejenigen, die man noch immer ausschließt.
Denn die Möglichkeit, Informationen verstehen zu können, ist keine Holschuld, sondern ein Recht, das ein anderes Grundrecht, nämlich die gesellschaftliche Teilhabe, ermöglicht.

Benutzbarkeit und Zugänglichkeit am Beispiel Internet:

Menschen mit Behinderungen benützen schon seit langem überdurchschnittlich oft das Internet. Die zeichen- und zeilenorientierte Darstellung in den 1980er Jahren schaffte für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen schnell zusätzliche Möglichkeiten der Kommunikation. Technisch war es einfach möglich, unterstützende Technologien für Blinde oder Gehörlose zu schaffen. Mittlerweile hat die Weiterentwicklung im technischen Bereich neue Barrieren geschaffen. Nicht jeder Mensch hat die Möglichkeit eine Maus zu bedienen oder weiß, wie man Java Script laden kann, multimediale Präsentationsmöglichkeiten sind nicht für alle erreichbar, usw.

Für die Barrierefreiheit von Webangeboten gibt es aktuelle Richtlinien, die in den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) festgehalten sind. Dabei geht es hauptsächlich um Vorgaben für die Programmierung. Wichtig sind eine klare Strukturierung der Inhalte, eine strikte Trennung von Layout und Inhalt, Plattformunabhängigkeit usw. Jedes Webangebot soll unabhängig von technischer Ausrüstung, motorischen oder sensorischen Einschränkungen benützbar und zugänglich sein.

Einige Beispiele dafür sind: Eine Webseite muss von jedem Browser ohne Verluste verständlich angezeigt werden können, sie muss in Braille-Schrift übersetzbar sein oder von Screen-Readern vorgelesen werden können. Sie muss auch ohne Maus bedienbar sein, multimediale Inhalte dürfen nicht ausschließlich für die Vermittlung eingesetzt werden, können aber zusätzlich zum Beispiel für Gehörlose, deren Muttersprache die Gebärdensprache ist, äußerst hilfreich sein usw. Nicht alle Content-Management-Systeme, die auch für Menschen ohne Programmierkenntnisse leicht zu erlernen sind, unterstützen diese Anforderungen.

Benutzbarkeit und Zugänglichkeit im Printbereich:

Bei Printprodukten ist es am Wichtigsten, auf ein lesbares Layout und die Verwendung von geeigneten Papiersorten zu achten. Künstlerische Experimente in Farbe und Kontrast oder Texte in sehr kleiner Schrift etc. halten sehbeeinträchtigte Menschen, ob alt oder jung, davon ab, sie zu lesen. Zu dünnes Papier, großformatige Zeitungen und auch Leporellos können von Menschen mit motorischen Einschränkungen sehr schwer gehalten oder umgeblättert werden. Will man darauf nicht verzichten, kann man die Informationen zusätzlich in einer zweiten Variante anbieten, die leichter handhabbar ist.


Verständlichkeit – die Sprache:

Am Schwierigsten wird es beim dritten Faktor, der Verständlichkeit. Dieser betrifft die Sprache und somit alle Bereiche. Ziel ist es, Inhalte übersichtlich und leicht verständlich zu präsentieren. Für eine leicht verständliche Sprache in maximaler Form gibt es Richtlinien, die als „Leichte Sprache“ (oder „Easy to read“) bezeichnet werden.

Die wichtigsten Grundregeln sind:

· Das Vermeiden von Fremdwörtern und Redewendungen;
· keine komplizierten Schachtelsätze;
· jeder Satz sollte nur einen Sinn beinhalten;
· für eine bestimmte Sache soll immer der gleiche Begriff verwendet werden;
· jeder komplizierte Begriff muss bei der erstmaligen Verwendung erklärt werden.

Weiters gibt es Vorgaben im Layout hinsichtlich Schriftgröße, Schriftarten, Absatzverwendung usw. Um Texte zusätzlich leichter verständlich zu machen, werden Piktogramme verwendet. Um gendergerecht zu formulieren, werden beide Geschlechter genannt. So weit so gut. Texte werden dadurch erheblich länger und verlieren an Lebendigkeit. Möglicherweise gehen Inhalte aus Platzgründen einfach verloren. Stilistische Kreativität stellt einen Widerspruch dar.


Die „Leichte Sprache“
wurde für und mit Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt. Sie berücksichtigt genau deren spezielle Bedürfnisse und wird von dieser Zielgruppe immer wieder überprüft und angepasst. Diese Richtlinien können für andere Gruppen, wie MigrantInnen mit geringen Deutsch-Kenntnissen oder ältere Menschen, nicht einfach übernommen werden.

Es gibt aber bereits Ansätze, um die Regeln gemeinsam mit anderen Zielgruppen entsprechend anzupassen.
Zu bedenken ist auch, dass nicht jeder Text in leichte Sprache übersetzt werden kann, weil er dadurch seinen Sinn völlig verlieren würde. In der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV) heißt es: „Für jegliche Inhalte ist die klarste und einfachste Sprache zu verwenden, die angemessen ist.“ Was eine angemessene Sprache ist und ob man zusätzlich Alternativen anbieten will, muss man wohl für jeden Text neu entscheiden.

Auch dieser Text ist nicht in leichter Sprache formuliert und beinhaltet Begriffe, die vielleicht nicht für alle selbstverständlich sind. Eine Version in leichter Sprache gibt es im Internet unter www.fro.at.

 

/// Hörversion

 


Manuela Mittermayer ist Organisatorin von Literatur- und Medienprojekten, Literatin und fallweise Trainerin. Sie arbeitete zuletzt in einem Ausbildungsprojekt für Menschen mit Beeinträchtigungen.

 

http://www.leichtesprache.org/

Zuletzt geändert am 20.06.12, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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